E-Bike Bregenz (c) Peter Mathis - Vorarlberg Tourismus
Branchenbrief September 2022

„Hundertprozentig nachhaltig gibt es nicht“

Eine Zertifizierung ist nur sinnvoll, wenn nicht der reine Erhalt eines Labels im Vordergrund steht. Das wäre dann ganz schnell Greenwashing.

Tourismusexperte und GSTC-Trainer Holger Sigmund

Vorarlberg Tourismus engagiert sich seit April im Global Sustainable Tourism Council, kurz GSTC. Über die Ziele der Organisation und die Aufgaben der Mitglieder, die konkreten Herausforderungen für den Vorarlberger Tourismus und den Sinn eines Nachhaltigkeits-Zertifikats informiert Tourismusexperte und GSTC-Trainer Holger Sigmund im Interview.

Was ist das GSTC?
Holger Sigmund: Gegründet wurde das Global Sustainable Tourism Council von verschiedenen Organisationen, um einen gemeinsamen internationalen Kriterienkatalog zu schaffen. Dabei wurden 4.500 verschiedene Kriterien analysiert und mit den 17 von den Vereinten Nationen formulierten Sustainable Development Goals abgeglichen. Sitz ist in Washington.

Was sind die Aufgaben?
HG: Im Wesentlichen sind es vier Aufgaben: In internationalen Arbeitsgruppen werden die Nachhaltigkeits-Kriterien weiterentwickelt. Vorarlberg Tourismus hat durch die Mitgliedschaft nun die Chance, sich hier einzubringen. Verschiedene Tourismussparten können diese Kriterien dann anwenden, beispielsweise Unternehmen aus dem Geschäftstourismus. Zweitens können sich Organisationen an das GSTC wenden, um eigene Kriterien anerkennen zu lassen. Wissensvermittlung durch Trainings und Austausch ist eine weitere Aufgabe. Die vierte ist das Management: Wer kümmert sich um Nachhaltigkeit?

Wer sollte die GSTC-Trainings machen?
HG: Es gibt mittlerweile viele verschiedene Formate. Den klassischen „Sustainable Tourism Course“, der mit einem Examen abgeschlossen wird, ist für jene interessant, die die Kriterien und deren Anwendung in der Tiefe verstehen wollen. Auf Betriebsebene und bei den Destinationen sehe ich da die Nachhaltigkeitsbeauftragten als Teilnehmer.

Was hat Vorarlberg Tourismus vom GSTC?
HG: Vorarlberg Tourismus profitiert vom Austausch im Netzwerk. Man kann andere Mitglieder kennenlernen und schauen, ob man vielleicht zusammenarbeiten will. GSTC gibt ja nur einen Mindeststandard vor und sagt: Ihr müsst den selbst interpretieren! Wir in Vorarlberg haben andere Probleme als die Seychellen.

Welche Themen muss eine Destination abklopfen?
HG: Bei Nachhaltigkeit geht es schnell nur ums Klima. Nachhaltigkeit ist aber umfassend zu verstehen und betrifft gleichermaßen Ökologie, Soziales und Ökonomie. Die GSTC-Kriterien basieren auf den vier Säulen „Nachhaltiges Management“, „Sozio-Ökonomische Nachhaltigkeit“, „Kulturelle Nachhaltigkeit“ und „Ökologische Nachhaltigkeit“. Die Destinationen sind in der Management-Rolle: Ihre Aufgabe ist es, personelle und finanzielle Mittel bereitzustellen und alle Stakeholder gut einzubinden – also einen guten Raum für das Thema zu schaffen. Dazu gehört zum Beispiel der Fachkräftemangel. Wie schaffen wir es, dass sich Leute von extern hier wohl fühlen, gerne bei uns im Tourismus arbeiten und gleichzeitig unsere Kultur authentisch erfahren, um sie Gästen erlebbar zu vermitteln? Hier gibt es bereits tolle Projekte in Destinationen und Betrieben, von denen wir lernen können. Man muss sich aber auch im Klaren darüber sein, dass es hundertprozentige Nachhaltigkeit nicht gibt. Aber es ist besser etwas zu tun als nichts.

Blick Richtung Heinrich-Hueter-Hütte, Brevier zur Tourismusmarke (c) Helmut Düringer - Vorarlberg Tourismus GmbH

„Authentizität ist etwas, das auf regionaler Ebene definiert werden muss."

Holger Sigmund (auf dem Foto mit Clara Gulde, Tourism Impact)

Was muss man bei der Umsetzung beachten?
HG: Als Betrieb muss ich mich dazu bekennen, die Kriterien umzusetzen. Ein Kriterium ist zum Beispiel Authentizität. Doch was heißt das? Das Tolle in Vorarlberg ist, dass man sich Organisationen reinholen kann, wie den Werkraum Bregenzerwald, und fragt: Wie weit denkt ihr authentisches Handwerk? Authentizität ist etwas, das auf regionaler Ebene definiert werden muss. Im Unterschied zur touristischen Kommunikation, die vielleicht im Storytelling ab und zu übertreibt. In Südtirol hat sich zum Beispiel die Frage gestellt, wie authentisch der Südtiroler Speck ist, da es dort früher gar keine Schweinezucht gegeben hat.

Was sind die weiteren Schritte für Vorarlberg Tourismus?
HG: Die Mitgliedschaft ist der Startpunkt. Das GSTC bildet das Rahmenwerk, um ein Nachhaltigkeitsprogramm umzusetzen. Wichtig ist zu definieren, wer sich in den Destinationen darum kümmert und wie man die Betriebe reinholt. Ein gutes Beispiel dafür ist das PIZ Montafon, ein Labor zum Thema Nachhaltigkeit im Tourismus, das die Destination mit Experten versuchsweise für ein Jahr installiert hat. Sie hat damit einen Raum geschaffen, wo Nachhaltigkeit diskutiert, Wissen erarbeitet und geteilt wird. Dann werden in Vorarlberg irgendwann Zertifizierungsprogramme folgen. Ihre Umsetzung ist aber nur sinnvoll, wenn nicht der reine Erhalt eines Labels im Vordergrund steht. Das wäre dann ganz schnell Greenwashing.

Wer zertifiziert?
HG: Das machen externe Organisationen, die vom GSTC zugelassen sind.

Welche Vorteile bringt die Zertifizierung?
HG: Man macht sich Druck, dranzubleiben. Es gibt jetzt schon viele Labels im Tourismus. Der Vorteil des GSTC ist, dass eine Tourismusorganisation anhand internationaler Standards von Dritten überprüft wird und sich regelmäßig einer Auditierung unterziehen muss. Gäste können sich damit sicher sein, dass ein Betrieb oder eine Region Mindeststandards erfüllt. Ein Zertifikat bringt auch Vorteile bei Förderanträgen und Geschäftspartnern, die bestimmte Kriterien voraussetzen. Es gibt auch immer mehr Reiseveranstalter, die nur mit Leistungsträgern zusammenarbeiten, die gewisse Standards einhalten.

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