Alpwandern, Hinteres Großes Walsertal, Brevier zur Tourismusmarke Vorarlberg (c) Helmut Düringer / Vorarlberg Tourismus GmbH

Die Marke im Gespräch

Ein Interview von Hans-Joachim Gögl mit Christian Schützinger,
Geschäftsführer Vorarlberg Tourismus

Was kann eine Marke?

 

Und wie profitieren Vorarlbergs Unternehmerinnen und Unternehmer im Tourismus davon?
Ein Gespräch mit Christian Schützinger, Geschäftsführer von Vorarlberg Tourismus, über die Faszination Vorarlbergs, den Unterschied zwischen Fabrik und Manufaktur und eine erfolgreiche Balance zwischen Maß und Masse.

Markenentwicklung kennt man vor allem aus der Konsumgüterindustrie. Das wohl bekannteste Beispiel ist ein koffeinhaltiges Erfri schungsgetränk, aus dem im Laufe von rund hundert Jahren strategisch eine Produktpersönlichkeit namens Coca-Cola entwickelt wurde. Was erwartet sich ein Urlaubsland wie Vorarlberg von der Beschäftigung mit dem Thema »Branding«?

Christian Schützinger: Die Hersteller von Konsumgütern wenden sich mit ihren Marken eigentlich nur an den Konsumenten. Tourismusmarken richten sich aber auch an ihre Leistungsanbieter. Nach außen bietet Markenarbeit die Möglichkeit, in der Kommunikation das eigene Profil zu schärfen und sich vom Mitbewerb, der ähnliche Produkte und Dienstleistungen anbietet, zu unterscheiden. Nach innen bietet die Marke für die Gemeinschaft der Leistungsträger eine untereinander abgestimmte Orientierung für das eigene Handeln. Sie definiert, mit welchen Werten, Haltungen und mit welchem Anspruch wir in Vorarlberg an die Entwicklung unserer touristischen Projekte herangehen.

Können Sie ein Beispiel zum Thema »Werte« oder »Haltungen« geben?

Die Marke des Urlaubslands Vorarlberg gibt nicht vor, ob Skifahren wichtiger ist als Wandern oder Snow boarden. Aber sie erläutert das »Wie«: In welcher Art und Weise wir ein Ski- oder Wanderer lebnis gestal ten wollen! In welcher Atmosphäre, unter welchen Rahmenbe dingungen der Gast dieses Erlebnis genießt.

Es gibt Tourismusregionen, die markenstrategisch in ihrer Kommunikation einen Skiurlaub action- und leistungsorientiert, zwischen Abenteuer und Party, vermitteln. In Vorarlberg betonen wir das Naturerlebnis, die Erfahrung von Landschaft, Stille, Genuss – bei sich selbst ankommen. Ich riskiere jetzt einmal einen ganz pointierten Vergleich: Wenn man diese zwei Markenhaltungen mit Konsumpro dukten vergleichen würde, wäre die erstere vielleicht so etwas wie Red Bull und die letztere ein großer Grüner Veltliner. Oder ein spritziges Golf-Cabrio im Vergleich mit einem markanten Volvo-Kombi. Beides macht jeweils Freude, beide sind auf ihren Feldern erfolgreich, aber sie stehen für sehr unterschiedliche Zugänge zu Genuss oder Mobilität. Und wir in Vorarlberg stehen sicher für eine sehr charakteristische und individuelle Art von Urlaubsgenuss im Unterschied durchaus auch zu naheliegenden Destinationen, die die Breite im Visier haben. Und dieser Unterschied ist gut so.

Kann man denn eine Tourismusmarke einfach erfinden? Sind die Haltungen und Werte des Urlaubslands Vorarlberg grundsätzlich frei wählbar?

Nein, in unserem Markenverständnis bilden sich diese aus der Vergangenheit der Region, aus den
Erfahrungen der Menschen, die hier leben. Die besonderen Fähigkeiten und Kompetenzen, die sich in Vorarlberg über Generationen entwickelt haben, sind die Grundlage einer authentischen Faszination und Anziehungskraft für den Gast. Das »Geworden sein«, das nur hier erlebbar ist, das ist der Magnetismus jeder Tourismusmarke und eben auch der Marke Vorarlberg.

Vorarlbergs Gastgeber sind Meister der Individualisierung

Mag. Christian Schützinger

Aber nicht für alle. Die Kunst besteht nun darin, diese gewachsene Attraktivität Vorarlbergs mit genau den Gästen in Verbindung zu bringen, die diesen Charakter, diese Persönlichkeit, eben diese Marke, schätzen.

Genau, das Tourismusland Vorarlberg befindet sich im Herzen Europas und verfügt über hohe soziale, ökologische, kulturelle und wirtschaftliche Standards. Wir sind eine Wissensgesellschaft! Der Anteil an hochqualifizierten Menschen nimmt ständig zu. Das heißt, wir können und wollen nicht mit pauschalen, massentouristischen Angeboten konkurrieren, deren Basis niedere Löhne, niederere gesellschaftspolitische Niveaus sind.

Aufgrund dieser Rahmenbedingungen sind wir für Urlauber, die den günstigen Preis vor dem individu ellen Reiseerlebnis gewichten, nicht die richtigen. Sogar ein clever durchstandardisiertes Fünfstern-Hotel in einer Massendestination bietet eine tolle Infrastruktur und verläss lichen Service. Wir allerdings kreieren ein individuelles Angebot, das auf vielfältigen Ebenen unsere spezifische Lebenskultur spiegelt.

Vorarlbergs Gäste gehören zu den höheren Bildungs- und Einkommensschichten. Sie wollen in ihren Ferien in ein möglichst persönliches Erfah rungs- und Bildungserlebnis investieren. Sie inter essieren sich für Land, Alltagskultur, Menschen und die Geschichte des Orts, den sie erkunden. Das ist eine ganz andere Erwartungshaltung an Urlaub als die, die ich einfach mit exzellenter Tech nik, Logistik und Infrastruktur befriedigen kann. Die Fähigkeit, unserem anspruchs volleren, wohl habenderen, neugierigeren Gast individuell zu begegnen, ist unsere Stärke! Das ist stimmig für unser kleines Land, das ist eine Strategie, die den Wohlstand, den unsere Gesellschaft entwickelt hat, erhalten kann und sie passt zu unserem eigenen Lebensstil.

Trotzdem managt Vorarlberg zwei Millionen Gäste pro Jahr.

Ja, aber eben als »Tourismusmanufaktur« und nicht als Fabrik. Vorarlbergs Gastgeber sind Meister der Individualisierung und diese Fähigkeit entwickeln wir mit der Markenarbeit weiter.

Unsere Angebote sind modular aufgebaut, Gäste können Rhythmus und Kombinationen frei zusam menstellen. Das Gegenteil sind Standard programme, deren Ziel Multiplikation, technische Effizienz ist.

Die Essenz, sagen wir mal die kürzestmögliche Zusammenfassung der Marke, lautet »Genussvolle Lebenskunst«. Was bedeutet dieses Versprechen an den Vorarlberger Gast für Sie?

Die Vorarlberger haben bewiesen, dass sie die Herausforderungen des Lebens meistern. Trotz historisch schwieriger Rahmenbedingungen an der äußersten Peripherie der Monarchie, als ständiges Überschwemmungsgebiet des Rheins im Tal und harten wirtschaftlichen Bedingungen für die Bauern in den Bergen hat sich das Land zu einem attraktiven Lebensraum entwickelt. Dahinter stehen Fähigkeiten, die auf Besucher faszinierend, anziehend wirken.

Diese Könnerschaft drückt sich in der Alltagskultur des Landes aus, zum Beispiel in der Baukunst, in der Kochkunst, in der Handwerkskunst oder auch in der Landwirtschaft.

Die Vorarlberger »Lebenskunst« unter diesen Aspekten habe ich verstanden, aber »genussvoll«? Das müsste man doch eher so kulinarisch orientierten Regionen wie etwa der Toskana oder dem Burgund zuschreiben.

Stimmt, aber »genussvoll« ist in unserer Markenarbeit ein strategischer Begriff, ein Ziel. Er ist die Auforderung nach innen, an unsere Anbieter, diese unsere Lebenskunst nicht als Mühsal, als alemannische Disziplin zu praktizieren, sondern im touristischen Angebot mit Freude, mit Leichtig keit und Neugier zu verbinden. Sonst hat die Lebenskunst mehr mit Arbeit als mit Ferien zu tun.

Die Marke ist also ein Zusammenspiel aus vorgefundenen, echten Fähigkeiten im Land, einer Mentalität, die man als Gast vom Leiblachtal bis zum Arlberg hinauf immer wieder erleben kann, plus der Verbindung mit der zentralen Urlaubs erwartung unserer Gäste: Genuss! Eine intelligente, zukunfts fähige Verbindung aus einem Angebot, das es nur bei uns geben kann, und einer Nachfrage, die am besten zu uns passt.

In erster Linie beschreibt die Marke die Eigenschaften der »Persönlichkeit« des Urlaubslands Vorarlberg. Ziel dieses strategischen Portraits ist, immer »selbstähnlicher« zu werden. Dass also in möglichst vielen Unterkünften, Restaurants, Tourismusinformationen, Kultur- und Freizeiteinrichtungen etc. dieser beschriebene Charakter für den Gast wirklich erfahrbar ist und er in seinem Urlaub erlebt, was die Kommunikation ihm versprochen hat. Wie können unsere Praktiker – sagen wir mal eine Familie, die ein Hotel führt – ihr Haus im Sinne der Marke Vorarlberg weiterentwickeln?

Die zentrale Strategie unserer Marke ist Individualisierung. Wie kann ein Gast unsere Landschaft, unsere Küche, die Menschen und ihre Kultur möglichst authentisch und persönlich erleben?

Ein paar konkrete Beispiele: Wenn ein Hotelierreno viert oder neu baut, kann er die robustesten, durch aus attraktivsten, in der Gastronomie bewährtesten Möbel, Armaturen, Fenster, Betten etc. einsetzen. Klug gewählte Elemente, die aller dings weltweit zu finden sind. Oder aber sein Objekt spiegelt die Baukultur Vorarlbergs wider, unsere Art von Handwerksqualität, unsere Art von Verbindung aus schlichtem zeitgenössischem Design und traditio nellen Formen, hergestellt aus Materialien, die hier gewachsen sind, gefertigt von Menschen, die wir vielleicht sogar kennen.

Im Rahmen der Personalentwicklung können wir Menschen finden und weiterentwickeln, die »be-geistert« sind von irgendeinem Teil unseres Angebots, von den Lebensmitteln, die wir einsetzen, vom Weinkeller, vom Dorf, in dem das Haus steht. Dieser Geist teilt sich dem Gast mit und schlägt natür lich jede allgemeine Checklist-Routine, auf die ein massentouristisch eingestelltes Personal trainiert ist.

Ein weiteres Beispiel für Individualisierung: In der Speisekarte drückt sich die Jahreszeit, die Region, die persönliche Beziehung zu Bauern und anderen Partnern aus.

Oder: Dem Gast anzubieten, mit einem Skiguide einmal die Piste ganz für sich allein zu haben und die eigene Spur zu ziehen.

In all unseren alltäglichen Angeboten vom E-Mail über die Rezeption, von der Zimmereinrichtung bis zur Telefonauskunft kann sich diese individuelle »Vorarlberger« Zuwendung durchziehen. Natürlich ist das aufwendiger, natürlich erfordert das mehr Einsatz und Engagement, aber genauso natürlich werden wir mit dieser Einzigartigkeit erfolgreich sein und im globalen Effizienzwahn nicht mitmachen.

Wie kann man als Unternehmer diese Kultur der Herzlichkeit im eigenen Haus verankern?

Der Unterschied zwischen Konsum und Genuss ist Wissen, Information. Nur wer sich einlässt, kann genießen. Das gilt für den Gast, aber auch für die Vermittler unseres Landes, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Deshalb versuchen wir von Vorarlberg Tourismus mit der Markenarbeit unsere Angebotspartner zu sensibilisieren und ein Bewusstsein zu schaffen, dass es so simpel ist: Wir müssen Menschen finden, die Anliegen haben! Menschen, die etwas toll finden, bringen das beim Gast rüber. Wenn wir etwas anbieten, das uns Freude macht, ist schon alles gewonnen.

Herr Schützinger, besten Dank für das Gespräch.